Aus der frühen Dritte-Welt-, Friedens- und Umweltbewegung kommend, hat sich Helmut Creutz bereits seit Ende der 70er-Jahre immer wieder die Frage nach den Hintergründen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problementwicklungen in unseren Gesellschaften gestellt, vor allem:
- Warum müssen selbst unsere weitgehend gesättigten Volkswirtschaften dauernd weiter wachsen, obwohl dies jeder Vernunft und der Forderung nach ökologischer Nachhaltigkeit widerspricht?
- Warum nehmen die Verschuldungen in aller Welt schneller zu als die Wirtschaftleistung und das vor allem auch in den reichen Industrienationen?
- Warum wachsen mit den eskalierenden Geldvermögensmassen überall in der Welt die sozialen Spannungen und Ungerechtigkeiten, nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch innerhalb der wohlhabenden Länder?
- Welche Zusammenhänge ergeben sich aus den exponentiellen Gesetzmäßigkeiten innerhalb unserer Währungen und der Zunahme gesellschaftlicher Auseinandersetzungen bis hin zu Kriegen?
Dass Helmut Creutz bei der Suche nach Erklärungen in der Geldsphäre fündig wurde, verdankt er der Zuschrift eines Lesers seines Schultagebuches „Haken krümmt man beizeiten“. Anfangs skeptisch und bestrebt den Schreiber zu widerlegen, fand er schließlich in den Mechanismen unseres Geldsystems tatsächlich jene Antworten auf seine Fragen, nach denen er so lange gesucht hatte.
Als erstes entdeckte er dabei die engen Zusammenhänge zwischen den Überentwicklungen der Geldvermögen und den daraus resultierenden Verschuldungszwängen. Diese wiederum machen ständiges Wirtschaftswachstum notwendig, um die sozialen Spannungen in einem tragbaren Rahmen halten zu können – eine Notwendigkeit, die aus ökologischen Gründen immer bedenklicher wird. In einem nächsten Schritt wies er nach, dass die Konjunkturkrisen, mit ihren Zunahmen der Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten, über Jahrzehnte hinweg jeweils den Hochzinsphasen und den mit ihnen ansteigenden Zinsbelastungen folgten.
Besonders aufschlussreich waren seine Analysen über die Umverteilungswirkungen der Zinsströme bezogen auf die Privathaushalte, die mit ihren Ausgaben nicht nur alle in der Wirtschaft anfallenden Material- und Personalkosten zu tragen haben, sondern auch alle Kapitalkosten. Dieser Kapitalkostenanteil aber ist mit der Masse der Geldvermögen und Schulden dauernd angestiegen. Bezogen auf die Haushaltsausgaben lag er im Durchschnitt 1950 erst bei etwa 10%, stieg jedoch bis 1975 auf rund 20%, um im Jahr 2005 rund 40% zu erreichen. (Die hier und im Folgenden angeführten Zahlen beziehen sich auf Deutschland.)
Während sich die von den Haushalten direkt und indirekt zu zahlenden Zinsen an ihren unterschiedlichen Ausgaben messen lassen, ist der Schlüssel für die Rückverteilung der gezahlten Zinsen, also für die Zinseinkommen, der jeweilige zinsbringende Vermögensbestand der Haushalte.
Helmut Creutz hat als erster Analytiker die sozialen Folgen dieser gegenläufigen Zinsströme untersucht. Dabei griff er auf die in Deutschland alle fünf Jahre stattfindenden Einkommens- und Verbrauchsstichproben zurück, aus denen hervorgeht, dass die ärmere Hälfte der Haushalte nur über vier Prozent der Geldvermögen verfügt, während sich 96 Prozent in den Händen der reicheren Hälfte befinden. Aber auch bei der reicheren Hälfte konzentrieren sich die Vermögen wiederum zu mehr als der Hälfte in einer kleinen Spitzengruppe.
Durch eine Aufteilung der Haushalte in zehn gleich große Gruppen konnte Helmut Creutz ermitteln, dass bei der Verrechnung der ausgabenbedingten Zinszahlungen mit den vermögensbedingten Zinseinkommen acht der zehn Haushaltsgruppen mehr Zinsen zahlen als sie zurückerhalten. Der Verlust dieser Haushaltsgruppen ist relativ umso größer, je geringer die zinsbringenden Vermögenswerte sind, über die ein Haushalt verfügt. Bei der neunten Haushaltsgruppe gleichen sich Zinslasten und -einkommen in etwa aus, und nur das reichste Zehntel der Haushalte profitiert bei dieser Zinsumverteilung, und zwar in gleichem Umfang, wie alle anderen Haushalte zusammengenommen verlieren. Das heißt, nur bei dieser zehnten Haushaltsgruppe verbleibt bei der Verrechnung ein – allerdings erheblicher – Überschuss (Grafik Nr. 059 in „Die 29 Irrtümer…“ S. 83).
Die Folge unseres Zinssystems ist also ein ständiger versteckter Einkommenstransfer, der von Helmut Creutz zum ersten Mal nachgewiesen wurde und der die zunehmende Scherenöffnung zwischen Arm und Reich überzeugend erklärt. Bedenkt man, dass alleine die Banken täglich rund eine Milliarde Zinsen einnehmen und rund 700 Millionen Zinsen auszahlen, dann haben alleine die mit Bankzinsen verbundenen Einkommensumschichtungen, netto gerechnet, einen Umschichtungseffekt von mindestens 400 Millionen Euro täglich.
Die Verarmung durch diese Einkommens-Umverteilungen versucht man weltweit durch Wirtschaftswachstum zu kompensieren. Faktisch führt die Kapitalakumulation jedoch überall zu Rückgängen der Arbeitseinkommen und damit zu einem Anstieg der sozialen und politischen Spannungen. Diese problematische Entwicklung wäre jedoch abzubauen, wenn sich, mit einer Umlaufsicherung für das Geld, die Entwicklungen der Zinssätze marktgerecht an die Wachstumsraten der Wirtschaft anpassen würden.
Einen diesbezüglichen Vorschlag Silvio Gesells zur Einführung einer Umlaufsicherung für das Geld, hat John Maynard Keynes schon 1936 in seinem Hauptwerk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ weiter durchdacht. Er schreibt, dass eine solche Umlaufsicherung „der vernünftigste Weg sein (würde), um allmählich die verschiedenen anstößigen Formen des Kapitalismus loszuwerden. Denn ein wenig Überlegung wird zeigen, was für gewaltige gesellschaftliche Veränderungen sich aus einem allmählichen Verschwinden eines Verdienstsatzes auf angehäuftem Reichtum ergeben würden. Es würde einem Menschen immer noch freistehen, sein verdientes Einkommen anzuhäufen, mit der Absicht, es an einem späteren Zeitpunkt auszugeben. Aber seine Anhäufung würde nicht wachsen.“ (ebd., S. 185).
Es ist das Verdienst von Helmut Creutz, diese von Keynes angesprochenen „gesellschaftlichen Veränderungen“ anhand der empirischen Daten der letzten 50 Jahre nachgewiesen zu haben. Vor allem erbrachten seine Analysen den Beweis, dass „die anstößigen Formen des Kapitalismus“ und die „Anhäufungen“ der Ersparnisse erst dann deutlich hervortreten, wenn die Wachstumsraten der Wirtschaft unter die Zinssätze bzw. unter die Wachstumsraten der Geldvermögen sinken, was zwangsläufig in allen Volkswirtschaften eintreten muss.
In der Anfangsphase einer wirtschaftlichen Wachstumsentwicklung, in der – wie in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren nach 1950 – die Wachstumsraten die Zinssätze übersteigen, hat dieser zinsbedingte Belohnungseffekt für das eingesetzte Geldkapital durchaus noch eine Berechtigung und positive Auswirkungen auf das Sparverhalten. Der zinsbedingte Umverteilungseffekt wird jedoch zum Problem, wenn die Zinssätze nicht im Gleichschritt mit den eintretenden Sättigungen und damit der Wirtschaftsleistung marktgerecht absinken.
Dieser von Helmut Creutz geleistete Nachweis der Zusammenhänge zwischen Zinshöhe, Wirtschaftsentwicklung und sozialen Folgen, vor allem auch bezogen auf die Unterschiedlichkeit ihrer Wirkungen auf die einzelnen Haushalte, hat es in dieser Form und Deutlichkeit bislang nicht gegeben. Diese Leistung ist darum für mich die wichtigste Begründung für diesen Antrag. Besonders verdienstvoll ist dabei, dass Helmut Creutz es verstanden hat, die auf den ersten Blick oft komplizierten Verknüpfungen unserer heutigen Probleme mit den Fehlstrukturen unseres Geldsystems, durch einfache Sprache und anschauliche grafische Umsetzungen auch für Laien nachvollziehbar zu machen.
Selbstverständlich lassen sich mit einer Überwindung der von Helmut Creutz und vielen anderen Mitstreitern in der Geldreformbewegung aufgezeigten Fehlstrukturen unseres Geldsystems nicht alle Probleme unserer Tage lösen. In Kenntnis seiner Arbeiten und aufgrund zahlreicher Rückmeldungen von Wissenschaftlern und Fachleuten bin ich der festen Überzeugung, dass ohne die Berücksichtigung der von Helmut Creutz erarbeiteten speziellen Analysen der monetären Wirkungsmechanismen weder die ökologischen noch die wirtschaftlichen und sozialen Problementwicklungen in unseren Gesellschaften und der Welt zu stoppen sein werden. Das hat in einem besonderen Maße die Zunahme der Problementwicklungen in den letzten Jahren gezeigt. – Der Autor Andreas Eschbach hat diese Zusammenhänge und die Lösungsproblematik in seinem Bestseller „Eine Billion Dollar“ anschaulich beschrieben.