Negativzinsen können die Kosten der Corona-Rezession abfedern
Die Konsequenzen aus der Corona-Pandemie sind bisher für die Weltwirtschaft wie auch für jeden einzelnen Menschen in China, Deutschland und nahezu überall auf der Welt unvorstellbar gewesen. Selten wurde in Friedenszeiten das Leben der Individuen und die globale Wirtschaft in einem solchen Maße eingeschränkt. Regierungsberater weltweit rätseln, ob und mit welchen Maßnahmen die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden kann und wie es gelingen kann, ruinöse Konsequenzen zu minimieren. In Deutschland wächst die Sorge, dass insbesondere viele kleinen und mittelständischen Betriebe aufgeben müssen und die Marktmacht der Globalplayer erneut deutlich zunimmt. Vielen Betrieben fehlt das Eigenkapital und eine Kreditlinie, die ihnen ein Überleben des Shutdown über einen längeren Zeitraum ermöglichen würden. Einige Weltkonzerne dagegen und die Finanzinvestoren haben seit Jahren glänzende Geschäfte gemacht und schwimmen im Geld. Für sie ist die Krise ein Eldorado, die Gelegenheit, günstig aufzukaufen und Konkurrenten zu schlucken.
Die Enteignung der Leistungsträger
Ein Familienbetrieb der mit den Gewinnen der zurückliegenden Jahre gut gehaushaltet hat, kann auch einen massiven Umsatzeinbruch verhältnismäßig lange verkraften. Dies haben die Erfahrungen aus der zurückliegenden Finanzkrise gezeigt. Insbesondere dann, wenn man durch staatliches Kurzarbeitergeld unterstützt wird und auf eigenem Boden wirtschaftet. Unternehmer, die mit großem Risiko und viel Fremdkapital an den Markt gegangen sind, fehlt dieser Puffer. Sie werden jetzt zum leichten Opfer und verlieren unverschuldet ihr Lebenswerk, wie es nach 2008 Millionen Eigenheimbesitzer weltweit ergangen ist.
Negative Umsatzzahlen verlangen negative Kreditkosten
Der Grund der drohenden Konkurse ist in den allermeisten Fällen nicht ein zu hohes Risiko, dass ein Unternehmer eingegangen ist. Ausschlaggebend ist der Kapitalmarkt, der sich nicht an die Entwicklung der Konjunktur anpasst. Der entscheidende Hebel sind die Zinssätzen. Die Kreditkonditionen müssen sich an die Entwicklung der realen Märkte anpassen. Ein Rückgang der volkswirtschaftlichen Leistung um 3% oder gar 7% muss sich entsprechend in der Kapitalrendite und bei den Zinskosten abbilden. Der Streit führender Ökonomen und der EU-Finanzminister über Euro- und Corona-Bonds dreht sich darum, hochverschuldeten Staaten den Zugang zu günstigen Krediten zu ermöglichen. Anstatt jedoch den Kapitalmarkt unter Druck zu setzen und allen Marktteilnehmern den Zugang zu niedrigen bzw. negativen Zinssätzen zu ermöglichen, streiten die Finanzminister darüber, dass die Steuerzahler wohlhabenderer Länder die Zinslasten der überschuldeten Staaten teilweise mit übernehmen. Interessant ist auch, dass man auf politischer Ebene alles tut, um die Erträge der Grundeigentümer nicht zu schmälern. Der Pachtertrag des Grundeigentümers soll unberührt bleiben und zur Not lediglich in die Zukunft verschoben werden. Das ist ökonomischer Unsinn. Da sich auch der Bodenertrag an einen rückläufigen oder negativen Umsatz anpassen muss, um das gesamte Gefüge bewahren zu können. Dazu an anderer Stelle mehr.
Effektive Negativzinsen bieten viele Chancen
Es wäre ehrlicher und zielführender über Negativzinsen zu beraten. Effektive Negativzinsen bieten viele Chancen und sind leicht umsetzbar. Umschuldungen auf negativ verzinste Kredite schaffen für unverschuldet in Not geratene Betriebe Spielraum, den Krisenzeitraum zu überbrücken. Sie verringern die Zinsbelastung über die Zeit, anstatt sie, wie bisher üblich, ständig anwachsen zu lassen. Warum die öffentliche Diskussion auf breiter Front unterbleibt, ist unklar. Im Folgenden einige Fakten und Zusammenhänge, die den Vorteil niedriger Zinsen verdeutlichen und einige Missverständnisse, die oft zitiert werden, um eine vermeintliche Unmöglichkeit eines Minuszins-Niveaus zu begründen.
Einige Fakten sind in der Debatte bereits relativ unstrittig
• Die Bundesregierung ist derzeit besonders handlungsfähig, weil die Staatskasse durch die niedrigen Zinslasten seit Jahren um zig-Milliarden Euro entlastet wird.
• Für die deutlich höher verschuldeten Staaten werden die jetzt anstehenden Sonderbelastungen nur tragbar, wenn die zusätzlichen Schulden durch eine Negativverzinsung überschaubar bleiben. Durch positive Verzinsung exponentiell ansteigende Zinslasten, wie wir es seit den 1970er Jahren erlebt haben, würden viele Staatshaushalte in den Ruin treiben.
• Die Beschäftigungsquote ist so hoch wie nie zuvor, weil durch sinkende Zinslasten die Investitionsquote enorm hoch ist. Beide Faktoren haben auch dazu geführt, dass die Lohnquote seit ca. zehn Jahren permanent gestiegen ist.
• Die Renten und die Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung steigen seit ca. zehn Jahren an, aktuell um 3,45 %.
• Banken können sich ganz aktuell mit -0,75 % refinanzieren. Ihr Problem ist nicht der niedrige Refinanzierungssatz sondern die Tatsache, dass sie viele Billionen € an täglich fälligen Einlagen verwalten, die ihnen eigentlich als mittel- und langfristige Einlagen für das Kreditgeschäft zur Verfügung stehen sollten.
• Die Banken leiden aktuell vor allem daran, dass sie die Kosten für die enorme Liquidität nicht an die Verursacher, die Besitzer der Geldhorte weiterreichen können (fehlende Geldgebühr).
• Auf dem Geldmarkt ist nicht der Negativzins das Problem, sondern die zu flache Zinsstruktur, also die Differenz zwischen Liquidität und langfristigen Einlagen.
• Banken machen bei niedrigem Zinsniveau bessere Geschäfte, weil das Ausfallrisiko und damit ihre Verluste bei steigenden Zinsen steigen.
• Es ist doch kein Zufall, dass die letzten Finanzkrisen immer nach einer Phase von Zinserhöhungen ausgebrochen sind.
• Das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist seit ca. zehn Jahren ziemlich niedrig, nicht trotz, sondern genau wegen des niedrigen Zinsniveaus. Steigende Zinsen sind Wachstumstreiber und destabilisieren die gesamtgesellschaftliche Struktur. Hohe Zinsen erfordern von der Politik einen Rahmen, der hohe Gewinne für die Betriebe ermöglicht. Niedrige Zinsen ermöglichen mehr Beschäftigung und gesetzliche Rahmenbedingungen, die ökologisches Verhalten fördern oder ermöglichen.
• Niedrige und negative Zinsen ermöglichen es den Betrieben auch ohne permanentes Wachstum zu überleben. Sie ermöglichen Vollbeschäftigung und eine ökologisch nachhaltige Kreislaufwirtschaft.
Es gibt aber auch Kontroversen
Die bürgerliche Presse behauptet seit Jahren massiv, durch Negativzinsen würden Sparer enteignet, Versicherungen würden ruiniert und den Geschäftsbanken würden die Existenzrundlagen entzogen. Dies ist nachweislich falsch.
Wird die »Versicherungswirtschaft kaputt gehen«, wenn Geldvermögen negativ verzinst werden?
Es ist zwar richtig, dass Kapitallebensversicherungen heute von dauerhaft positiven Zinssätzen ausgehen und somit kein lukratives Geschäftsmodell bei negativen Zinsen darstellen. Aber kapitalgedeckte Risikolebensversicherungen und Rentenversicherungen wird es unabhängig vom Zinsniveau immer geben. Es ist davon auszugehen, dass es den meisten Versicherern gelingen wird, überholte Geschäftsmodelle durch andere Versicherungsgeschäfte zu ersetzen. Sicherlich wird die Versicherungswirtschaft ihr kostspieliges Vertriebssystem und andere Kostenfaktoren senken müssen, und auch die Gewinnspannen werden sich dem allgemeinen Marktgeschehen angleichen. Solche Anpassungen stellen aber die Versicherungswirtschaft an sich nicht infrage.
Schadet es den Bilanzen der Banken, wenn Geldvermögen negativ verzinst werden?
Tatsächlich stellen sich die Banken derzeit auf ein anhaltendes Null-Zins-Niveau ein. Das laute Gebrüll einiger Verbandssprecher kann davon nicht mehr ablenken. Ihr Geschäftsvolumen allerdings wird zurückgehen, wenn Unternehmen und Konsumenten Ausgaben immer stärker aus eigenen Rücklagen tätigen können. Müssen wir also Mitleid haben, wenn weniger Kreditverträge nachgefragt werden und die Bürotürme der Banken nicht mehr in den Himmel wachsen? Banken sind Dienstleister. Ihre Bedeutung und Größe sollte sich am Bedarf der übrigen Wirtschaft orientieren. Auch für die Banken-Branche gilt, mit modernen Geschäftsmodellen und dem Markt angepassten Kostenstrukturen haben Banken ihre Berechtigung. Als Herrscher über die Volkswirtschaft haben die Broker und Vorstände vermutlich ausgedient.
Warum sollten bei Minus-Zinsen »Millionen an Spareinlagen von kleinen Leuten kaputtgehen«?
Nur wer sehr große Beträge liquide hält, wird durch Negativzinsen spürbar belastet. Die Spareinlagen der kleinen Leute schmelzen dahin, wenn die Inflation höher ist als ihre Verzinsung. »Der Kleinsparer wird nicht durch die Einführung von Negativzinsen betrogen, sondern dadurch, dass es keine gibt«.
Erzeugen niedrige Zinsen Fehlallokationen und Zombieunternehmen?
»Der Zins zeigt, ob Investitionen sinnvoll oder riskant sind,« lautet ein oft zitiertes Argument gegen niedrige Zinsen. Richtig ist, dass im Zins ein Risikoanteil steckt. Dessen Existenz ist allerdings unabhängig vom allgemeinen Zinsniveau. Er wird gerne ideologisch instrumentalisiert, um ein allgemein positives Zinsniveau zu rechtfertigen.
Aus Sicht des Kapitals ist eine hohe Rendite wünschenswert. Für die Allgemeinheit sind jedoch andere Kriterien wichtig. Wenn man dem Geld-Kapital die Möglichkeit nimmt, positive Zinsraten zu erzwingen, gibt es auch keine sogenannte »Zombiewirtschaft«. Betriebe, die eine geringe Kapitalrendite erwirtschaften als Zombies zu bezeichnen ist eine Perversion des Wirtschaftsgeschehens. Das Kapital hat der Gesellschaft zu dienen und nicht umgekehrt.
Fehlallokation gab es jahrzehntelang, weil Kapital durch die hohen Zinsforderungen in kapitalintensive Bereiche mit hohen Profitraten gelenkt wurde: Kernenergie, Rüstungsindustrie, Automobilproduktion, Flugzeugindustrie. Schon 2006 habe ich in meinem Buch (Das Märchen vom guten Zins) erläutert, dass nachhaltige Energieproduktion sich am Markt durchsetzen wird, wenn die Kapitalmarktzinsen gegen null gehen. Ökologische und soziale Investitionen, sowie alle arbeitsintensiven Dienstleistungen profitieren von niedrigen Zinsraten und Minuszinsen. Fehlallokation wird vermieden, indem die Realwirtschaft den Forderungen des zinstragenden Kapitals unterworfen wird oder indem man dafür sorgt, dass der Geldmarkt auch bei Zinsen um null (bei absolutem Finanzkapital-Überangebot entsprechend auch unter null) funktioniert.
Ist die Diskussion über Negativzinsen akademisch?
»Weder die EZB, noch die Bundesbank oder andere ernstzunehmende Ökonomen und Institute fordern Leitzinsen, die bei -5% etwa liegen,« behaupten Journalisten und Politiker gerne. Diese Aussage trifft so jedoch nicht zu.
In der wissenschaftlichen Debatte wird seit 20 Jahren diskutiert, dass die Zinsen längst deutlich im Minusbereich liegen müssten. Indikatoren dafür sind u.A. eine allgemeine Marktsättigung, ein gewaltiges Überangebot von Finanzkapital und die viel zu flache Zinsstruktur. Der Einbruch der Konjunktur weltweit durch die Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie sind letztlich nur ein weiterer, wenn auch bedeutender, Faktor. Wichtige Beiträge zur Notwendigkeit negativer Zinssätze kamen vom IWF, der FED, und nicht zuletzt aus der EZB siehe die Rede des EZB-Direktoriumsmitglieds Benoît Cœuré die er am 9.9.2014 in Frankfurt am Main vor der Geldmarkt-Kontaktgruppe der EZB hielt.
Das Problem der Notenbanker: angemessene Negativzinsen sind nur durchsetzbar, wenn man über eine Geldgebühr das Ausweichen auf Bargeld unterbinden kann. Dies ist aber nur mit politischen Entscheidungen (gegen die seit Jahren ein mediales Trommelfeuer abgefeuert wird) umsetzbar. Das Problem der Geschäftsbanken besteht darin, dass sie sich nicht trauen,die negativen Leitzinsen der EZB komplett auf die Giro-Bestände umzulegen. Sie haben mehrere Billionen € auf täglich fälligen Einlagen und müssen Kredite für 5-10 Jahre zu festen Zinssätzen ausleihen. Früher wurden Teile des Kreditvolumens über Fristentransformationen abgewickelt. Heute sind sie das Normalgeschäft. Weil das letztlich aber nicht geht springt unermüdlich die Notenbank ein.
Wenn die Geldhortung etwas kostet, werden die Giro-Bestände abgebaut und das Überangebot an Geldkapital wird drei Konsequenzen haben: Investitionen, Konsumnachfrage und langfristige Ausleihungen zu Zinssätzen sehr nahe null. Die Notenbanken werden nicht mehr immer mehr Geld in den Markt pumpen müssen, sondern immer mehr Liquidität aus dem Markt herausnehmen um Inflation zu vermeiden. Die Folgen: Stabilisierung der Finanzmärkte, Stabilisierung der Nachfrage, Stabilisierung der öffentlichen Haushalte, weitere Steigerung der Reallöhne.
Das Beispiel der Raiffeisenbank Gmund
»Negativzinsen ruinieren kleine Volksbanken und Sparkassen,« behaupten sogar engagierte Politiker. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Die kleine Raiffeisenbank Gmund hat als eine der ersten Banken im Sommer 2016 ein »Verwahr-Entgelt« eingeführt und gute Erfahrungen damit gemacht. Viele Institute haben sich nicht getraut die Giroguthaben und damit die Verursacher der Geldortung zu belasten. Sie haben die Kosten ihrer Negativzinsen als Kontogebühren zu gleichen Gebühren auf alle Girokontobesitzer verteilt, wie beispielsweise die GLS-Bank. Ein absolut unsoziales und darüber hinaus kontraproduktives Vorgehen. In Anbetracht der medialen Schmutzkampagne war dies allerdings nachvollziehbar. Aktuell kann man eine Tendenz ausmachen, dass sich immer mehr Geschäftsbanken bemühen, zumindest die großen Giro-Bestände durch eine negative Verzinsung tendenziell zu reduzieren.
Effektive Negativzinsen ermöglichen
Jetzt ist die Bundesregierung gefordert, in Kooperation mit den übrigen Regierungen der Eurozone, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bargeldgebühr zu schaffen. Damit wird die Europäische Zentralbank in die Lage versetzt, die Leitzinsen weiter an das negative Wachstum der Realwirtschaft anzupassen. In der Folge werden sich auch der Kapitalmarkt und die Kreditzinsen den Möglichkeiten der realen Märkte anpassen.
Fazit
Geldgebühren sind eine marktwirtschaftliche Notwendigkeit für eine funktionierende Geldwirtschaft. Sie als Strafzinsen, Enteignung und ähnliches zu diffamieren und eine Diskussion zu unterdrücken ist sträflich. Allein in Deutschland wurden jahrzehntelang Zinslasten von mehreren hundert Milliarden Euro jährlich kommentarlos hingenommen. Die exponentielle Zunahme der Geldvermögen und Schulden wurde nur von wenigen Kritikern hinterfragt. Die bürgerliche Presse hat sich geweigert, Zinseinkommen als Ursache von Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu hinterfragen. Unser Geldvermögen und die Schulden vermehren sich exponentiell, wie ein Corona-Virus, selbst dann noch, wenn der reale Zinssatz sehr niedrig ist.
Grund genug, den Mechanismus immer positiver Zinssätze zu hinterfragen.
Der Beitrag erschien am 13.4.2020 auf TELEPOLIS.
Verwendete Quellen:
https://www.inwo.de/medienkommentare/brauchen-banken-eine-geldgebuehr/